Samstag, Juli 22, 2006

Vater-Mann wird beschrieben


Vater-Mann ist einfach toll. Er ist nett, freundlich, hilfsbereit, zurückhaltend, distinguiert und, wer hätte auch jemals den geringsten Zweifel daran gehabt, äußerst Bescheiden.

Fast ließe sich dieser Beschreibung nichts mehr hinzufügen. Der Vollständigkeit halber sollen noch einige Details Erwähnung finden. Vater-Mann mag es, die Familie zusammen ist. Was bedeutet, jeder kann schon machen, was er will, wichtig ist nur das die Mitglieder der Familie in der Wohnung sind und nicht irgendwo anders. Wenn sie woanders sind, wird Vater-Mann immer unruhig. Das ist nicht ganz so schlimm, wie sich das jetzt anhören mag. Vater-Mann trägt seine Unruhe, wenn die abgemachte Zeit für die Heimkehr naht, mit Würde. Selbst dann noch, wenn die Zeit überschritten wurde. Er ist die Ruhe und Selbstbeherrschung in Person. Niemand der ihn nicht sehr gut kennt, schlösse daraus, dass er bedächtig die Wohnung durchmisst und hin und wieder den Zeitmesser konsultiert, dass Vater-Mann auf jemanden wartet. Auch der Umstand, das Vater-Mann in einer elegant schnellen Bewegungsabfolge die Wohnungstüre erreicht sobald es läutet, wird niemandem verraten, dass er vielleicht ein ganz klein wenig unruhig geworden sein könnte.

Manchmal geht Mutter-Frau abends weg. Einfach so. Sie behauptet immer, alles sei schon seit ewigen Zeiten bekannt und angekündigt. Vater-Mann bezweifelt dies hin und wieder. Oft kann er sich gar nicht daran erinnern, dass sie gesagt haben soll, sie sei an diesem oder jenem Tag wieder einmal auf Tour.

Oft entspinnt sich zu diesen Gelegenheiten ein Dialog zwischen Vater-Mann und Mutter-Frau, der auf Seiten von Vater-Mann von einem gewissen Informationsbedürfnis kündet: "Wo gehst Du denn heute wieder hin?". "Zur (hier kommt jetzt ein beliebiger Name, den Vater-Mann oft nicht einmal zuordnen kann)". "Aha, und wie lange bleibst Du heute?". "Ooch, wird nicht so lange dauern. Vielleicht bis (Jetzt folgt eine ungefähre Zeitangabe, die Vater-Mann jedes Mal aufs neue Erblassen lässt)". Vater-Mann ist tolerant, weshalb niemals in dieser Situation von ihm Einwände gegen die Ausgehaktion der Mutter-Frau hören wird. "Nimm bitte Dein Handy mit, falls mal was ist." "Ist gut." "Aber auch anmachen. Das letzte Mal habe ich versucht, dich zu erreichen und es ging nicht." "Ja, ist gut." "Und mach nicht so lang." Das sagt er so ganz nebenbei. Niemand würde diese Äußerung als Gequengel oder gar den Versuch missdeuten, Mutter-Frau dazu zu veranlassen, eventuell früher von diesem regelmäßigen Treffen nach Hause zu kommen. "Tschö", sagt Mutter-Frau. "Ja, tschö", sagt Vater-Mann, "Fahr vorsichtig". Meist fährt Mutter-Frau mit der Straßenbahn oder Tram, wie dieses Gefährt des öffentlichen Nahverkehrs in anderen Teilen dieses Landes genannt wird. Dann ist Mutter-Frau weg. Vater-Mann ist die Ruhe selbst. Siehe obige Beschreibung. Kurz vor der Zeit zu welcher Mutter-Frau meist wieder im trauten Heim eintrifft, greift Vater-Mann auch schon mal zu Telefon und ruft die Mutter-Frau auf ihrem Mobil-Telefon an. Einfach nur so. Nur mal sehen, ob sie noch weit weg ist. Könnte ja sein, dass irgendetwas ist. Vielleicht braucht sie dringend eine Information, oder einen Tipp. Oder so. Wenn dann die Wohnungstüre geöffnet wird, ist Vater-Mann wieder, ganz schnell und gelassen an der selbigen uns schließt ab. Geschafft! Alle sind da. Keiner fehlt. Nichts passiert. Heute.

Der ein oder andere könnte jetzt auf den (völlig falschen) Gedanken verfallen, Vater-Mann wäre vielleicht ein ganz klein bisschen Paranoid. Das ist es ganz und gar nicht. Vater-Mann ist nicht Paranoid, aber er weiß auch, dass man nie sicher sein kann, dass sie nicht hinter einem her sind. Ganz besonders dann, wenn man nicht Paranoid ist.

An dieser Stelle muss jetzt mal in aller Kürze beschrieben werden, wie es dazu kam, dass Vater-Mann jedes Mal, wenn Mutter-Frau abends zu einem Treffen geht, von einer gewissen, wie soll ich sagen, Unruhe erfasst wird.

Das war so: Zu der Zeit, als der Kleine Bruder noch nicht da war, war Vater-Mann mit Tochter-Kind allein Zuhause. Irgendwann war es an der Zeit das Tochter-Kind ins Reich des Schlafes überwechseln sollte und dies auch tat.

Vater-Mann kannte keine Unruhe, wenn ein Mitglied der Familie nicht Zuhause war. Da es ein anstrengender Tag gewesen war, ging auch Vater-Mann schlafen. Normalerweise wurde Vater-Mann in der Nacht schon mal so halbwach, griff neben sich und spürte dann meist, dass Mutter-Frau da war. Und alles war gut. Nicht so in dieser Nacht. "Na ja", dachte er sich, "dann kommt sie eben gleich", dachte es und schlief wieder ein. Das nächste Erwachen war dann so gegen 3 Uhr früh. Hand ausgestreckt. Nichts. "Hmm?!". Mal aufgerichtet, sich umgesehen. Nichts, keine Mutter-Frau. Aufgestanden, in den anderen Räumen nachgesehen. Wieder nichts. Seltsam. Ob sie vielleicht bei den Bekannten für die Nacht geblieben war, weil es vielleicht zu spät geworden war? Zum anrufen war es ja etwas sehr spät. "Na, warte noch ein bisschen". Gegen 4 Uhr früh immer noch nichts. Auch keine Meldung auf dem Anrufbeantworter. "Ich ruf jetzt doch mal an". 4 Uhr Morgens, dass Rufzeichen ertönt im Hörer. Der Anrufbeantworter schaltet sich ein. "Hallo, Vater-Mann hier. Tut mir leid, wenn ich so spät noch anrufe, aber ist Mutter-Frau bei euch geblieben? Wenn ja, gebt mir mal Bescheid.“ Nicht wirklich befriedigend. Wenige Minuten später klingelt das Telefon. "Hallo, wir haben deine Nachricht abgehört, Mutter-Frau ist nicht bei uns. Sie ist gestern Abend, so gegen halb 10 weg". Jetzt begann Vater-Mann sich ernstlich Sorgen zu machen. Polizei und Feuerwehr anrufen, "hat es einen Unfall gegeben?". Das ganze Programm. Raus gehen und sie suchen gehen konnte Vater-Mann auch nicht. Immerhin schlief im Kinderzimmer das Tochter-Kind. Das konnte ja nicht einfach allein gelassen werden. Eine vertrackte Situation… .

Vater-Mann rief bei den Großeltern an. (Die werden später noch vorgestellt. Bei einer schöneren Gelegenheit.) Dort war die Besorgnis nicht ganz so groß. Ein ausgeprägteres Grundvertrauen war vorhanden. "Wenn Du los willst und (jetzt wird es schwierig, denn Mutter-Frau ist ja das Tochter-Kind von Großmutter-Frau) mein Tochter-Kind suchen willst (na, wenn das keine Lösung ist.), dann bring dein Tochter-Kind zu uns". Das hieß jetzt Tochter-Kind aus dem Schlaf reißen, anziehen, erklären, dass Vater-Mann dringend etwas tun muss. Tochter-Kind ist noch nicht richtig wach, halb angezogen, fängt an zu weinen. Sie merkt, dass etwas nicht stimmt. Vater-Mann ist sehr beunruhigt.

Das Telefon klingelt. Klingelt noch mal. Vater-Mann will mehrere Dinge gleichzeitig erledigen. Lässt Tochter-Kind kurz allen (sehr ungern). Rennt zum Telefon: "Hallo, mein Schatz, bist Du jetzt wach?". Mutter-Frau ist am anderen Ende der Leitung. "Mutter-Frau", schreit Vater-Mann in die Sprechmuschel. Erleichterung, aber auch eine ungeheure Spannung brechen durch diese beiden Worte aus Vater-Mann heraus, "wo bist du?"

Es gäbe noch viele Details zu vermelden. Kurz zusammengefasst war folgendes passiert. Mutter-Frau hatte ihren Schlüssel vergessen. "Nicht schlimm", dachte sie, "Vater-Mann" ist ja zu Hause. Aber Vater-Mann schlief. Vater-Mann hörte keine Türklingel. Mutter-Frau klingelte bei einer Nachbarin im Haus gegenüber und verbrachte dort die Nacht. Morgens gegen 6,30 Uhr rief sie dann Vater-Mann an. Der verspürte ob der Erleichterung keine Freude, es tat richtig weh. Das ist doch ein guter Grund ab und zu mal zu fragen, wann man wieder zu Hause ist, Oder?

Die Konsequenzen: Vater-Mann geht erst dann in Bett, wenn alle zu Hause sind. Vater-Mann fragt immer so Sachen wie: "hast du deinen Schlüssel eingesteckt?", "hast du dein Handy mit?", "ist es eingeschaltet".

Kleine Ursache, sehr lang anhaltende und tief greifende Wirkung.

Manchmal ist das Mutter-Frau und auch den Kindern auf die Nerven gegangen. Besonders Mutter-Frau fühlte sich eine ganze Weile lang richtig Kontrolliert und Eingeengt. Später dann hat sie sich in ihr Schicksal ergeben. Sie hat es dann auch eingesehen...

Vater-Mann geht am Wochenende immer spazieren. Allein. In die Stadt. Nicht immer die gleiche Runde, aber immer sehr ähnlich. Das dauert dann ein paar Stunden, dann kommt Vater-Mann zurück, schläft eine oder zwei Stunden.

Irgendwann fing dann Mutter-Frau an, Vater-Mann zum Abschied zu befragen: "Wo gehst du hin?, Wann kommst du wieder?, und so weiter". Vater-Mann hat sie schon sehr merkwürdig angesehen. Was war denn mit der Mutter-Frau auf einmal los? "Was willst denn Du?". "Wieso? Wissen will ich es halt."

Vieles mehr ließe sich noch erzählen. Vieles wird noch erzählt werden. An der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit. Die Hauptpersonen der Menschen-Familie sind vorgestellt.

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